Läuft bei Dir? Romantischer Antikapitalismus – damals und heute

Hab begonnen „Poesie der Klasse“ von Eiden-Offe zu lesen und bin einigermaßen erstaunt über die beschriebenen gesellschaftlichen Parallelen zwischen heute und dem Vormärz (Dekaden vor 1848). Nach der Einleitung lese ich jetzt das Kapitel über Ludwig Tiecks „Der junge Tischlermeister“.

Offe beschreibt bisher den Prozess der Proletarisierung um die Jahrhundertwende sehr nachvollziehbar:

-Anteil Lohnarbeiter an Bevölkerung wächst
-Bauern werden in Loharbeiter verwandelt (Bauernlegung)
-Zerstörung bisheriger Arbeits- und Subsistenzformen (Mechanisierung und Teilung der Arbeit, Zerschlagung Zunftwesen durch die Einführung der Gewerbefreiheit 1810)

Ludwig Tieck (*1773 †1853) Verfasser “Der junge Tischlermeister”

Die Proletarisierung verläuft zunächst als gesellschaftliche Desintegration (Verarmung), die nicht notwendigerweise in produktives kapitalistisches System der Lohnarbeit mündet, sondern als eine Auseinandersetzung zwischen subversiven Formen und konformen Formen des Verhaltens geführt wird.

Der Vormärz wird als „Einschwingprozess“ jener Klassenkonstellation beschrieben, deren Auflösung wir in Westeuropa seit den 1970er Jahren erleben. Und darin liegt die Parallele zu heute: das auch das heutige Proletariat/Prekariat ohne klar definierte  und verschweißte politisch-imaginierte Klassenidentität ist. Damit ähnelt der Vormärz als Entstehungsprozess dem heutigen Ergebnis der Dekomposition der Klassenidentität. Die heutige Erosion von „Normalarbeitsverhältnissen“ bringt Klassenfigurationen hervor, die offenbar dem Vormärz gleichen.

Die Kritik der „antikapitalistischen Romantiker“ an der heraufziehenden kapitalistischen Modernen wird unterschiedlich bewertet. Einmal, in marxistischer Tradition Georg Lukacs, als unkritische Verherrlichung einer Vergangenheit, welche die Arbeitsteilung noch nicht kannte. Zum Anderen, positiver, durch Michael Löwy and Robert Sayre, die die Vergangenheit als Ressource von Kritik als legitim und gewinnbringend, beschreiben. Romantische Kritik gründet sich hier auf der schmerzvollen Erfahrung eines Verlustes.

Maschinenstürmerei und Affektpolitik

Heute wird die ab 1815 in Deutschland sich verbreitende Maschinenstürmerei als „romantische“ und nicht ganz ernstzunehmende Aktivität im Kampf gegen den Kapitalismus wahrgenommen. Vor dem Hintergrund der Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen 1810 und damit der Zerschlagung der Zünfte, der fortschreitenden Mechanisierung und Teilung der Arbeit in Manufakturen und Fabriken und damit der Verarmung der Heimarbeiter und Zunft-Handwerker, gewinnt eine Maschinenzerschlagung durchaus an Charme. -Man stelle sich vor, man stünde jetzt auf und ginge… und zerschlüge…, nicht wahr? Außerdem schien es auch ein probates Mittel der Lohnauseinandersetzung zu sein.

Interessant auch das Kapitel über die bürgerliche Affektpolitik, die die Imperative des  bürgerlichen Klasseninteresses (Fleiß, Gelderwerb, Arbeitsamkeit, Bildung) als Herrschaft der Vernunft, den Unterschichten als Tugendhimmel vorhält und sie so zu disziplinieren versucht.

Bildung ist, damals wie heute, nicht allgemein, sondern für das Bürgertum „statusmarkierender Zeitvertreib“ für das Proletariat aber „Leitbild einer Disziplinierung“.

Bestimmend für die kapitalistische Ökonomie wird die Reduzierung/Subsumierung aller menschlichen Leidenschaften auf/unter die Habgier durch Adam Smith. Sie soll der bestimmende Antrieb aller Menschen sein, durch dessen Auslebung (im Kapitalismus) automatisch (Vorsicht: unsichtbare Hand) dem allgemeinen Interesse (Wohlstand, Wirtschaftswachstum) gedient ist. Das das allgemeine Interesse verblüffend dem Partikularinteresse des Bürgertums gleicht, ist natürlich reiner Zufall, knick, knack

Und so wird’s weitergehen. Das nächste Kapitel heißt: Hegung des Klassenkampfes – Tiecks Zünfte als invention of tradition.