Patrick Eiden-Offe: Die Poesie der Klasse

Romantischer Antikapitalismus

Nachdem ich fast durch den 600 Seiten Klopper „Marx“ bin und einigermaßen überrascht  von der fast pathologischen Empathielosigkeit und Gereiztheit des Meisters der Weltrevolution gegenüber allem und jedem (außer dem treuen Engels natürlich), bin ich bei Hugendubel am Hermannplatz über „Die Poesie der Klasse“ gestolpert. Naja, gestolpert, es war das einzige Buch in diesem merkwürdigen Laden, welches den Anfang des 19 Jahrhunderts irgendwie geschichtlich behandelte. Und da mein neuer Roman in dieser Zeit angesiedelt ist, muss man lesen was einem in die Hände fällt. Man beachte den Untertitel: Romantischer Antikapitalismus und die Erfindung der Klasse. „Romantischer Antikapitalismus“ scheint mir auch auf eine verbreitete heutige Geisteshaltung zuzutreffen: die features für bugs zu halten, an dem man herumdoktern könnte. Was hätte Marx wohl zu heutigen Groß-Diskussionen um Minderheitenrechte, Gender, Bio-Kapitalismus und Kulturrelativismus gesagt? Aber mich interessiert eigentlich die Entstehung des Proletariats eher soziologisch: soziale Zusammensetzung, soziale Organisation und dessen Abkunft aus den feudalen Gesellschaftsstrukturen. Wer weiß wozu es nütze ist.

„Die Poesie der Klasse“ widmet sich offenbar ausführlich der Analyse literaturgeschichtlichen Darstellung des sich zur Klasse konstituierenden Proletariats. Ludwig Tieck, Wilhelm Weitling, Georg Weerth, Georg Büchner, Ernst Dronke werden im Inhaltverzeichnis genannt.

Vielleicht noch ein Wort zu Friedenthals Marxbiografie: Jetzt gegen Ende bin ich einigermaßen überrascht wie wenig marxistische Theorie vom Philosophen Friedenthal verhandelt wird. Man erhält aber im Gegenzug einen tiefen Einblick in die Anfänger der Organisierung der europäischen Arbeiter und Handwerker, und vor allem in Marxens durchaus untergeordnete Rolle dabei. Alles in allem eine sehr gut lesbare, von historischer Kenntnis geprägten und von jeder Anbiederung freien Darstellung des Lebens des sicher einflussreichsten Philosophen und politischen Ökonom.

Brief Marx über die Tagungspunkte der Internationale in Mainz:

„Punkt 1: Notwendigkeit , die  Staatsschulden abzuschaffen, mit Debatte über etwaige Entschädigungen. Punkt 2: Zusammenhang zwischen politischer Aktion und sozialer Bewegung der Arbeiterklasse. Punkt 3: Praktische Mittel für Umwandlung des Grundeigentums in Gemeineigentum. Punkt 4: Umwandlung der Notenbanken in Nationalbanken. Punkt 5: Bedingungen der genossenschaftlichen Produktion auf nationaler Grundlage. […] Und als letzter Punkt … neue Diskussion der Frage, wie Kriege verhindert werden können.“

Die Jungens und Mädels hatten was vor!

Dazu im herrlichen Gegensatz (aber vielleicht ist es gar keiner):

Engels: „Ich wollte, die verdammte Panik (an der Börse von Manchester) hörte etwas auf, ich muss shares verkaufen.“

Darauf Marx´Antwort: „Was das Verkaufen von shares angeht, so ist meine Ansicht die: sie werden wieder herauf gehen, aber in der allernächsten Zukunft fallen, weil die Londoner Börse, lange faul, die Gelegenheit für Bankrotte benützt, und dies dito auf die kontinentalen Börsen wirkt, als Masse Papier auf den Markt geworfen werden müssen.“

Was unsere Lifestyle-Moralisten wohl zu solchen Revolutionsführern gesagt hätten? Shitstormgarantie!