Max Frisch, Tagebuch 1966-1971

Max Frisch Tagebuch 1966-1971

Max Frsich Tagebuch 1966 – 1971

Das schöne an Secondhand Büchern, neben deren Preis, sind die Lesezeichen, die man so manches mal findet: Rechnungen, Einkaufszettel, gepresste Pflanzen, Postkarten. Seit ich bemerkt habe, wie schön ich es finde auf solche kleinen „Lebenszeichen“ anderer Menschen in den Büchern zu stoßen, hinterlasse ich selber solche. Für den Fall, dass meine Bücher mal im Secondhand-Laden auftauchen oder ich sie in zwanzig Jahren nochmals in die Hand nehme (wovor mich die ewigen physikalischen Gesetze verschonen mögen).

„Liebe Sonja, bei B.W sah ich diese Ausgabe während Du Literatur suchtest. Es ist ein Buch, das „man“ besitzen sollte. Mir hat es viel gegeben. Frohes Fest und schöne erholsame Tage wünscht Kl.Fr.“

Das lasse ich so stehen, weil es stimmt und schön ist. Die Vorderseite der Postkarte ziert ein „Sitzende Gestalt, Nigeria (Benin), Bronze, H.21cm, Afrika Museum. Meerwijk Berg en Dal

Und nun zum Tagebuch.

Max Frischs Tagebücher bieten keine klassischen Einsichten in das Leben und Denken des berühmten Schweizers, weder bieten sie Aufklärung über dessen Trink- und Sexualgewohnheiten, noch tiefere Kenntnisse zum Schaffensprozess: „Setzte mich nach durchzechter Nacht und dem Genuss eines kräftigen Frühstücks nieder, um das Manuskript des „Homo Faber“ zu verbrennen. Hatte ich schon lange vor. Dachte mir aber nach dem Mittagessen, es sei der Anstrengung nicht wert. Am Nachmittag kommt Ingeborg zum Tee. Wieder Streit!“

Nichts dergleichen, stattdessen die berühmten Fragebögen, literarische Skizzen, viele Reisebeschreibungen, sowohl Sowjetunion als auch USA, viel politisches, 68, Vietnam, der Kapitalismus.

Fragebogen Leben:

„Was fehlt Ihnen zum Glück?“ Max Frisch, Tagebuch, S.11

Über Brecht:

Was Brecht aus seiner Emigration mitbrachte war Immunität gegenüber dem “Ausland“; weder ließ er sich imponieren dadurch, dass andere Leute andere Bräuche haben, noch musste er sich deswegen behaupten als Deutscher. Sein Zorn galt einem gesellschaftlichen System, seine Achtung einem anderen; die Weltbürger-Allüre, die immer eine nationale Befangenheit kompensiert, erübrigt sich. Ein Augsburger mit Berlin als Arbeitsplatz, ein Sprachgebundener, Herkunft nicht als Wappen, aber als unvertauschbare Bedingtheit: die selbstverständliche Anerkennung der Bedingtheit; Dünkel wie Selbsthaß, national-kollektiv, erweisen sich dann als Relikte, nicht der Rede wert.“ Max Frisch, Tagebuch, S.25.

Fragebogen Ehe:

„Wann überzeugt Sie die Ehe als Einrichtung mehr: wenn Sie sie bei anderen sehen oder in ihrem eigenen Fall?“ Max Frisch, Tagebuch, S.59.

Aus Zürcher Manifest (unterzeichnet):

Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade. (Pestalozzi)“ Max Frisch, Tagebuch, S.166.

Fragebogen Hoffnung:

Wissen Sie in der Regel was Sie hoffen?“ Max Frische, Tagebuch, S.179

Über Hass:

Vor allem meine ich sicher zu sein, daß mein Haß mich mehr geschädigt hat als sie, die ich haßte. Haß als Stichflamme, die plötzlich erhellt; dann aber verdummt er mich. Vielleicht kommt es daher, daß dem Hassenden eher an Versöhnung gelegen ist als dem Gehaßten. Wenn ich feststelle, daß jemand mich haßt, kann ich mich leichter entziehen; ich halte mich eben an andere, die mich nicht hassen. TrTrotz einer natürlichen Dosis von Selbsthaß bin ich vorerst irritiert, wenn ich mich von jemand (ohne daß ich ihm ein Bein gestellt hätte) gehaßt finde. Habe ich mit Sympathie gerechnet? Eigentlich nicht. Was irritiert ist die unerwartete Intensität einer einseitigen Beziehung; der Reflex ist nicht Gegen-Haß, vielleicht Verwirrung, vor allem aber Wachheit. Ich habe das Gefühl erfördere mich (zu einem gewissen Grad) durch Wachheit, oder ich kann den Hassenden vergessen. Umgekehrt nicht; als der Hassende halte ich mich an den Gehaßten, und es hilft mir nichts, daß er sich entzieht, im Gegenteil. Je seltener ich ihn sehe oder von ihm höre, umso gründlicher mein Haß, d.h. meine Selbstschädigung. […] Anders ist es mit dem Haß, der sich nicht auf eine Person bezieht, sondern auf ein Kollektiv oder insofern auf eine Person, als sie ein Kollektiv representiert. Mein einziger lebenslanger Haß: Haß auf bestimmte Institutionen. Da wird der Haß selbst eine Institution. Auch da schädigt der Haß vor allem mich selbst, aber ich bleibe meiner Selbstschädigung treu, weil dieser Haß sich als Gesinnung versteht und Gleichgültigkeit wie Versöhnung ausschließt.“  Max Frisch, Tagebuch, S.212f

Über Zeitung und Lüge:

Man kann nicht sagen, daß ihre Zeitung lügt; sie verhindert nur dreimal täglich die Aufklärung. Ihr Kniff: die Inhaber als die Verantwortungsbewußten. Nicht nur in Wirtschaft und Industrie, auch in der Armee.Die Inhaber sind von der Arbeitskraft abhängig, aber nicht von deren Meinung, hingegen ist die Mehrheit abhängig von der Meinung der Inhaber: Das ergibt das Verantwortungsbewußtsein der Inhaber.“ Max Frisch, Tagebuch, S.246.

Über Repressalien und die Gesinnung der Mehrheit:

Das ist in jedem System so. Die Angst vor Repressalien mausert sich zur Gesinnung. Zwar übernimmt diese Mehrheit nicht die Macht, daran hindert sie eben die Gesinnung, ihr Einverständnis mit den Machthabern; sie nimmt jetzt lediglich den Machtinhabern lediglich die Repressalie ab. RUHE UND ORDNUNG, dafür tritt der Stammtisch ein; das ein andersdenkender Lehrer aus der Schule fliegt, dafür müssen die Machthaber kaum noch sorgen, das besorgt die Mehrheit, , die sich die Macht-Inhaber durch Repressalie geschaffen haben, auf demokratische Weise. Man bezeichnet das Volk in der Schweiz gern als SOUVERÄN: weil ja die Mehrheit entscheide. Wie souverän ist die Mehrheit?“ Max Frisch, Tagebuch. S.251.

Aus Fragebogen Geld/ Reichtum:

Was tun sie für Geld nicht?“

Wenn Sie nicht aus eigenem Entschluß,(wie der heilige Franziskus), sondern umständehalber nochmals arm werden: wären Sie den Reichen gegenüber, nachdem Sie als Gleichgestellter einaml ihre Denkweise kennengelernt haben, so duldsam wie früher?“ Max Frisch,Tagebuch, 260ff

USA und Angst:

Amerika hat Angst. Die Macht-Inhaber unterstellen:Angst vor Rußland, Angst vor China, also Angst, die ihre Strategie rechtfertigt und die Kosten dieser Strategie. In den kleinen Bars oder Ateliers oder unter Wissenschaftlern oder in einem öffentlichen Park oder wo immer man ins Gespräch kommt, das sie selber anfangen, tönt es anders: Amerika hat Angst vor Amerika… Ich meine im Ernst, es habe sich zum Guten entwickelt, verglichen auch mit 1956, als ich zum zweitenmal dieses große Land durchreist habe; eine System.Kritik habe ich zwar nie gehört, auch nicht bei Leuten, die gegenüber Präsident und Administration im offenen Protest stehen; aber die die Angst vor sich selbst macht sie als einzelne humaner.“ Max Frisch, Tagebuch, S.314.

Fragebogen Heimat:

Warum gibt es keine heimatlose Rechte?“ Max Frisch, Tagebuch, S.383.

Fragebogen Eigentum:

Wem gehört Ihres Erachtens beispielsweise die Luft?“ Max Frisch, Tagebuch, S.403.

Fragebogen Tod:

Haben Sie Angst vor dem Tod und seit welchem Lebensjahr?“

Möchten Sie wissen, wie Sterben ist?“

Wem gönnen Sie manchmal ihren eigenen Tod?“

Wenn der Atem aussetzt und der Arzt es bestätigt: sind Sie sicher, daß man in diesem Augenblick keine Träume mehr hat?“

Welche Qualen ziehen Sie dem Tod vor?“

Wieso weinen die Sterbenden nie?“ Max Frisch, Tagebuch, S.224ff.

Nun, weil sie die Schnauze vermutlich voll haben.